Vor siebzig Jahren wurde die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partnerschaft in der Wirtschaft (AGP e.V.) in Altenberg/Rheinland gegründet. Den Initiatoren um den Textilfabrikanten Gert P. Spindler ging es im Wesentlichen darum, durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit in den Betrieben eine Annäherung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zu erreichen und damit die traditionelle Konfrontation zwischen Arbeit und Kapital zu überwinden. In ihrer Gründungssatzung beschreibt die AGP ihr Verständnis der betrieblichen Partnerschaft als „jede durch eine Vereinbarung zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeiter festgelegte Form der Zusammenarbeit, die außer einer ständigen Pflege der zwischenmenschlichen Beziehung eine Mitwirkung und Mitverantwortung sowie eine materielle Beteiligung am Betriebserfolg zum Inhalt hat“.
Was damals auf viel Argwohn stieß und teils bis heute noch immer kontrovers in Deutschland diskutiert wird, ist für die amerikanisch geprägten Startups seit langem ein Selbstverständnis. Dort hat das Silicon Valley es zu einem globalen Standard gesetzt, dass Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit und ihr „Talent“ in das Unternehmen investieren, genauso wie die Gründer am Erfolg beteiligt werden. Ein Trend, den die amerikanischen Ökonomen Douglas Kruse, Richard B. Freeman und Joseph R. Blasi als „shared capitalism“ bezeichnen und der das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit in den USA in den letzten Jahrzehnten entscheidend weiterentwickelt hat.
Auch in Deutschland wird die Mitarbeiterbeteiligung insbesondere für junge Unternehmen immer mehr zu einem drängenden Thema. Sie sehen sich im internationalen Wettbewerb bei der Gewinnung von qualifizierten (IT-)Fachkräften im Hintertreffen und fordern daher vehement bessere Rahmenbedingungen, um Mitarbeiter auch in Deutschland am potentiellen Erfolg des Unternehmens stärker beteiligen zu können. Für den Präsidenten des Bundesverbands Deutsche Startups, Christian Miele, stellt die Mitarbeiterbeteiligung einen zentralen Schritt dar, um Deutschland als Startup-Nation wettbewerbsfähig zu machen.
Mit den Forderungen der Startups, Deutschland für junge Unternehmen attraktiver zu machen, bekommt nun auch die Diskussion um die Mitarbeiterbeteiligung hierzulande neuen Wind. Sie verweisen auf eine Entwicklung, die für die zukünftige Arbeitswelt von genereller Bedeutung sein dürfte: Die zunehmende Aufweichung der Trennung zwischen Beschäftigung und Unternehmertum. Junge Mitarbeiter sehen sich schon heute immer weniger nur als Beschäftigte. Wie Unternehmer investieren sie vielmehr ihre Arbeitszeit und ihr „Talent“ in den unternehmerischen Erfolg und wollen entsprechend daran beteiligt werden.
Siebzig Jahre nach Gründung der AGP zeigt sich damit die Aktualität des Partnerschaftsgedankens in der Wirtschaft. Arbeitnehmer und Arbeitgeberinteressen decken sich zunehmend in dem gemeinsamen Ziel eines erfolgreichen „Unternehmens“. Mitwirkung, Mitverantwortung und Beteiligung am Erfolg sind dabei damals wie heute tragende Säulen der betrieblichen Partnerschaft und wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen.
Am 27. Januar fand eine Anhörung im Bundesfinanzausschuss zum Thema Mitarbeiterbeteiligung statt. Grundlage der Anhörung waren zwei unterschiedliche Anträge von FDP und Grünen. Die Mitarbeiterbeteiligung ist in Deutschland „aufgrund der steuerlichen und bürokratischen Vorschriften unattraktiv, so dass deutsche Unternehmen international Wettbewerbsnachteile erfahren“, heißt es im Antrag der FDP. Die Grünen weisen darauf hin, dass insbesondere Startups bei der Rekrutierung von begehrten Mitarbeitern ins Hintertreffen geraten, wenn sie keine attraktiven Anreize bieten können.
Der Bundesverband Deutsche Startups hatte bereits im April 2019 ein Positionspapier vorgelegt, in dem er die derzeitigen Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland im europäischen Vergleich als unattraktiv und kaum konkurrenzfähig kritisierte. Aufgrund grundsätzlicher Kapital- und Ressourcenknappheit, hätten Startups nicht die Möglichkeit qualifizierte Mitarbeiter durch hohe Gehaltszahlungen für sich zu gewinnen. Attraktive Möglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligung seien daher ein entscheidender Standortfaktor für junge Digitalunternehmen, heißt es in einer Pressemitteilung des Startup-Verbands.
In der Anhörung, zu der unter anderem der Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung (AGP) und der Bundesverband Deutsche Startups als Sachverständige geladen waren, kristallisierten sich zwei Kernaspekte heraus, die die Startups als wesentliche Hemmnisse beim Thema Mitarbeiterbeteiligung einschätzen. Zum einem, dass Mitarbeiter ihre Anteile schon dann als geldwerten Vorteil versteuern müssen, wenn sie diese vom Unternehmen kostenlos oder vergünstigt erhalten. Zum anderen unterliegen diese Anteile wie auch die Bonuszahlungen aus einer virtuellen Beteiligungen der Einkommenssteuer und nicht der niedrigeren Besteuerung als Kapitaleinkünfte, wie dies für Investoren und Gründer der Fall ist, so Christian Vollmann, Vizepräsident des Bundesverbands Deutsche Startups, in der FAZ vom 28. Januar.
Die besondere Problematik der aktuellen Besteuerungspraxis liegt darin, dass diese jungen Unternehmen durchaus noch scheitern können und die Anteile dann faktisch wertlos wären. Die Steuern sollten daher grundsätzlich erst dann fällig werden, wenn beim Verkauf der Anteile auch wirklich Geld fließt, fordern die Startups. Zu berücksichtigen gilt außerdem, dass bei einem klassischen Startup Gründer, Mitarbeiter und Investoren gemeinsam ins Risiko gehen. Während die Investoren ihr Kapital einsetzen, investieren Gründer und Mitarbeiter ihre Zeit und nehmen Opportunitätskosten in Kauf, so der Gründer und Chef des Reisevermittlers GetYourGuide Johannes Reck in einem Beitrag in der Welt vom 27. Januar.
Ein wenig Bewegung kam im November 2019 in die Thematik, als sich die Koalition auf eine Erhöhung des steuerlichen Freibetrags für Arbeitnehmerbeteiligungen am Betriebskapital von 360 Euro auf 720 Euro verständigte. Jedoch bleibt diese Erhöhung im europäischen Vergleich weiterhin ein Tropfen auf den heißen Stein. Zudem greift diese staatliche Förderung für Startups nicht, da sie in aller Regel keine echten Anteile in Form von Aktien, GmbH-Anteilen oder stillen Beteiligungen an ihre Mitarbeiter ausgeben, sondern nur virtuelle Beteiligungen, die im Falle eines Verkaufs eine entsprechende Erfolgsbeteiligung in Abhängigkeit vom Verkaufserlös versprechen.
Dass Startups in den meisten Fällen auf virtuelle Beteiligungen zurückgreifen, liegt zu einem daran, dass die Gründer die Besteuerungsproblematik zum Zeitpunkt der Überlassung der Anteile vermeiden wollen. Zum anderen gründet sich der Großteil der Startups nicht als Aktiengesellschaft, sondern als GmbH. Somit könnten sie den Mitarbeitern lediglich GmbH-Anteile anbieten, was im Gegensatz zu Aktienprogrammen aber nicht praktikabel ist.
Ebenso wenig beteiligen Startups ihre Mitarbeiter über die im Mittelstand etablierte Form der stillen Beteiligung, da diese eine schuldrechtliche Verpflichtung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern darstellt. Diese Verbindlichkeit wollen die Gründer und Investoren in der Startphase und angesichts des hohen unternehmerischen Risikos nicht eingehen.
Der Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung teilt den Standpunkt der Startups, dass die Besteuerung von Anteilen, die finanziell noch nicht zugeflossen sind und die im durchaus möglichen Falle eines Scheiterns in der Gründungsphase gegebenenfalls wertlos werden, nicht sachgerecht ist. Der Verband spricht sich daher grundsätzlich dafür aus, Anteile, die vom Arbeitgeber vergünstigt oder unentgeltlich überlassen werden, erst zum Zeitpunkt des Verkaufs oder der Rückgabe zu besteuern, um Belastungen der Mitarbeiter ohne zusätzliche Erträge, sogenanntes „trockenes Einkommen“, zu verhindern.
Was die steuerliche Bewertung der Anteile betrifft, speziell wenn es im Falle der virtuellen Beteiligungen bei dem Verkauf oder dem Börsengang des Startups zur Ausschüttung der vereinbarten Erfolgsbeteiligung kommt, so teilt der Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung auch hier die Sichtweise der Startups: Gründer, Investoren und Mitarbeiter investieren gleichermaßen in eine Geschäftsidee– die einen mit Zeit, die anderen mit Geld. Dieses gemeinsame unternehmerische Risiko sollte aus Sicht des Bundesverbands Mitarbeiterbeteiligung auch gleichermaßen besteuert werden.
Es ist anzuerkennen, dass es sich bei Mitarbeitern, die sich mit Gehaltseinbußen und sonstigen Opportunitätskosten am Aufbau eines Startups beteiligen, mehr um Mitunternehmer als um klassische Angestellte handelt. Dies könnte zum Beispiel in einer Neudefinition des „Investivlohns“ anerkannt und geregelt werden, die es den Mitarbeitern erlaubt, sich zu den gleichen Bedingungen wie die Gründer und Investoren zu beteiligen.
Die Chancen, die sich aus einer Verbesserung der Rahmenbedingungen der Mitarbeiterbeteiligung für Deutschland ergeben können, zeigt GetYourGuide-Gründer Johannes Reck in seinem Beitrag in der Welt vom 27. Januar eindrücklich auf: „Im Kampf um die besten Köpfe hat das Silicon Valley einen globalen Standard zur Mitarbeiterbeteiligung gesetzt, […] In den USA hat genau dieser Mechanismus zur Blüte des digitalen Ökosystems entscheidend beigetragen. Aus den erfolgreichen Mitarbeitern der ersten Generation wurden die Investoren und Gründer der zweiten Generation. Unternehmen wie Facebook, Tesla, LinkedIn, Airbnb und YouTube wurden beispielsweise von Paypal-Alumni finanziert oder gegründet. Als beim Verkauf von Paypal an Ebay im Jahr 2002 die Mitarbeiteranteile realisiert wurden, war dies der Startschuss für eine Welle von Innovationen, die einige der größten Technologiefirmen der Gegenwart zur Folge hatte“. Aus dieser Perspektive bewertet der Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung die nachträgliche Besteuerung von Startup-Anteilen der Mitarbeiter als Kapitalertrag als gerechtfertigt und chancenreich.