Nach mehr als einem Jahrzehnt des Dornröschenschlafes hat die Bundesregierung die Mitarbeiterbeteiligung wieder auf die politische Agenda gesetzt und am 20. Januar im Rahmen des Fondsstandortgesetzes eine Ausweitung der steuerlichen Förderung beschlossen. So soll der steuerfreie Höchstbetrag für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen auf 720 Euro verdoppelt werden. Zusätzlich ist für junge Unternehmen eine nachgelagerte Besteuerung geplant, wenn sie Kapitalbeteiligungen an ihre Mitarbeiter übertragen. Diese sollen dann erst zum Zeitpunkt der Veräußerung oder bei einem Arbeitgeberwechsel, spätestens aber nach zehn Jahren als geldwerter Vorteil versteuert werden.
Durch die neuen Regelungen soll insbesondere die Startup-Szene in Deutschland einen wichtigen Anschub erhalten, so Finanzminister Olaf Scholz. Wichtig sei ihm, dass die Beschäftigten auch am Erfolg der Unternehmen teilhaben können, heißt es in einer Pressemitteilung des Finanzministeriums. Der Beauftrage für Digitale Wirtschaft & Startups des Bundeswirtschaftsministerium Thomas Jarzombek wird auf dem Twitter-Kanal des BMWi zitiert, dass sich der Einsatz für die Startups gelohnt habe und mit dem vom Kabinett verabschiedeten Gesetz die Weichen für bessere Rahmenbedingungen der Mitarbeiterkapitalbeteiligung gestellt würden.
Besondere Verhältnisse in Startup-Unternehmen
Die beschlossenen Maßnahmen stoßen bei den Startups jedoch auf Kritik. In einer Stellungnahme des Bundesverband Deutsche Startups heißt es: „Der aktuelle Entwurfsstand deckt sich nicht mit den Bedürfnissen der Praxis“. Und auch Bitkom-Präsident Achim Berg bewertet die beschlossene Neuregelung für die Startups als eine Enttäuschung. Seit langem kritisieren beide Verbände die unzureichenden rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen für die Mitarbeiterbeteiligung speziell für die Gruppe der Startups. Für diese jungen Unternehmen sei aber eine attraktive Mitarbeiterkapitalbeteiligung ein entscheidender Standortfaktor im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe.
Der Grund für diese große Diskrepanz bei der Bewertung der beschlossenen Maßnahmen liegt möglicherweise in einem grundlegenden Missverständnis auf beiden Seiten im Hinblick auf die Zielsetzungen und die Praxis der Mitarbeiterbeteiligung. Das klassische Verständnis der Mitarbeiterkapitalbeteiligung in Deutschland basiert seit den sechziger Jahren auf der Vorstellung Ludwig Erhards, durch die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital der Unternehmen eine Gesellschaft von Teilhabern zu gestalten. Insbesondere mit Blick auf die Vermögenspolitik sollte so der Arbeitnehmerschaft ein Zugang zu Kapitaleinkommen und damit eine Teilhabe an den Wohlstandsgewinnen einer wachsenden Wirtschaft ermöglicht werden.
Abseits dieser gesellschaftspolitischen Idee, die im politischen Bonn und später in Berlin nie wirklich ihren Durchbruch fand, haben bis heute eine ganze Reihe von Unternehmen auch die unternehmerischen Vorteile einer Mitarbeiterbeteiligung erkannt und entsprechende Beteiligungsprogramme aufgelegt. Die Unternehmen wollen damit nicht nur die betriebliche Leistung verbessern oder Eigenkapital bilden, sondern explizit auch den langfristigen Vermögensaufbau der Mitarbeiter fördern.
Das Verständnis der Mitarbeiterbeteiligung von Startups hingegen ist stark durch die Praxis des Silicon Valleys geprägt, hochspezialisierte Spitzenkräfte und Innovationstreiber durch die Überlassung von Unternehmensanteilen für das eigene Unternehmen zu gewinnen und zu motivieren. Diese Mitarbeiter entsprechen in aller Regel nicht dem Bild des klassischen Arbeitnehmers, sondern sind eher als Mitunternehmer anzusehen. Neben den Gründern und Investoren gehen sie mit ihrer Arbeitszeit und ihrem Talent ein unternehmerisches Risiko ein, das durch die Aussicht auf eine mögliche und möglichst hohe Wertsteigerung ihrer Unternehmensanteile belohnt werden soll.
Virtuelle statt „echte“ Beteiligungen
Während die in Deutschland praktizierte Mitarbeiterbeteiligung in unterschiedlichen Rechtsformen und Modellen, wie bspw. Belegschaftsaktien, stille Beteiligungen oder Genussrechten, ihren Ausdruck findet, ist die Art der Mitarbeiterbeteiligung, wie sie in der internationalen Startup-Szene üblich ist, ausschließlich darauf ausgerichtet, „echte“ Unternehmensanteile zu gewähren. Das deutsche Gesellschaftsrecht bietet hier jedoch mit der Aktiengesellschaft und der GmbH keine Rechtsform an, die für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung in deutschen Startups praktikabel wäre.
Die Aktiengesellschaft ist für junge Gründer mit einem zu hohen formalen und finanziellen Aufwand verbunden. Die GmbH wiederum, die die meisten Startups als Rechtsform nutzen, macht es praktisch unmöglich, eine größere Anzahl von Mitarbeitern mit Gesellschaftsanteilen zu beteiligen. Die Beurkundungspflicht, die Probleme bei der Wertbestimmung, die eingeschränkte Fungibilität und die Gefahr einer Fragmentierung der Gesellschafterversammlung stehen dem entgegen. Auch die im Mittelstand eingesetzten mezzaninen Beteiligungen kommen für die Startups nicht in Frage, da sie eine Verbindlichkeit des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern darstellen. Zudem handelt es sich dabei nicht um „echte“ Anteile, die die Mitarbeiter an der Wertentwicklung des Unternehmens teilhaben lassen.
Die meisten deutschen Startups greifen daher auf virtuelle Beteiligungen zurück, bei denen die Mitarbeiter keine Unternehmensanteile, sondern einen Anteil am Erlös aus dem Verkauf des Unternehmens oder eines Börsengangs erhalten. Dadurch aber, dass es sich bei virtuellen Beteiligungen nicht um eine Kapitaleinlage der Mitarbeiter handelt, sondern lediglich um eine Erfolgsbeteiligung, greifen die jetzt beschlossenen Regelungen bei dieser Form der Mitarbeiterbeteiligung nicht. Weder die Erhöhung des Freibetrags noch die nachgelagerte Besteuerung sind somit für die Startups praxistauglich.
Hinzu kommt, dass im Gegensatz zum deutschen Ansatz, bei dem die Mitarbeiterbeteiligungen zusätzlich zu einem marktüblichen Gehalt gewährt werden, die Beteiligung bei den Startups viel stärker als eine Kompensation für das hohe Risiko der Beschäftigten und das in vielen Fällen vergleichsweise niedrige Gehalt angesehen wird. Diese Kompensation kann im Erfolgsfall durchaus zu fünf- oder sechsstelligen Ausschüttungen führen, die dann als Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit vollständig versteuert werden müssten. Dies ist im internationalen Vergleich ein weiterer Nachteil, da in vielen anderen Ländern derartige Erträge als Kapitaleinkommen und damit deutlich niedriger versteuert werden.
Regelungen bleiben wirkungslos
Unter dem Strich ist festzuhalten, dass mit dem neuen Gesetz den Startups nicht geholfen ist. Die neuen Regelungen zielen in erster Linie auf die etablierten Formen und das traditionelle Verständnis der Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland. Für die Beteiligungsprogramme in den Aktiengesellschaften und im Mittelstand kann das neue Gesetz so durchaus als ein Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen sein. Wenn auch ein weitaus höherer Freibetrag vor allem im europäischen Vergleich sicherlich wünschenswert gewesen wäre.
Für die Startups jedoch bleiben die Anhebungen der Freibeträge und die nachgelagerte Besteuerung wirkungslos, solange diese Unternehmen keine gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen in größerem Umfang und auch gezielt an hochqualifizierte Fachkräfte ausgeben können. Der Bundesverband Deutsche Startups fordert daher folgerichtig, dass eine eigene Anteilsklasse im GmbH-Recht geschaffen werden sollte, die spezifisch auf die Bedürfnisse von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen von Startups zugeschnitten ist, um Mitarbeiter praktikabel als Gesellschafter an einer GmbH beteiligen zu können.
Die Kritik der Startup-Verbände an den beschlossenen Maßnahmen ist daher nachvollziehbar. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Vereinigung von mehr als 700 europäischen Gründern und Investoren „Not Optional“ auch 2020 im Rahmen eines internationalen Vergleichs wieder festgestellt hat, dass für diese Unternehmensgruppe die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen in Deutschland besonders ungünstig sind. Unter 24 Ländern belegt Deutschland den 23. Platz. Von dem Ziel, international eine Spitzenposition einzunehmen, wie es Olaf Scholz in der Pressemitteilung zum Fondsstandortgesetz ausgegeben hat, ist das noch weit entfernt.