Gastbeitrag
11. Dezember 2024
8 Minuten

Autor: Manuel Schirmer, Externer Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Inga Hardeck, Inhaberin der Professur für BWL, insb. Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Duisburg-Essen, und Mitarbeiter einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
Die Einsatzfelder und Ausgestaltungsformen von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen (MKB) sind vielfältig. Ebenso vielfältig und damit komplex ist ihre steuerliche Behandlung. Dies liegt daran, dass es kein einheitliches Besteuerungsregime für MKB gibt, sondern im Einzelfall unterschiedliche Regelungen zur Anwendung kommen.
Dieser Gemengelage begegnet die Praxis mit „Best Practice”- Modellen, indem für verschiedene Unternehmensgruppen wie börsennotierte Unternehmen, mittelständische Unternehmen oder Start-Ups und Scale-Ups typisierende Programme eingesetzt werden, die sich bewährt haben. Große Herausforderungen ergeben sich jedoch, wenn das Arbeitgeberunternehmen – oft aus sehr überzeugenden rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen – von der Best Practice abweichen möchte.
Der folgende Beitrag beleuchtet einige Facetten der bestehenden Gemengelage und stellt einen ganzheitlichen Reformvorschlag vor, der zu einer Vereinheitlichung und Vereinfachung der Besteuerung von MKB führen könnte.
Arbeitgeber führen ein Beteiligungsprogramm in der Regel nur dann ein, wenn dieses aus ihrer Sicht gesamtsteuerlich attraktiv erscheint. Unter der Gesamtsteuerbelastung ist in diesem Zusammenhang die Belastung auf Arbeitnehmerund Arbeitgeberebene über den gesamten Lebenszyklus der Beteiligung zu verstehen: Erwerb, Haltephase und Veräußerung.
Als Vergleichsmaßstab werden häufig laufende Gehalts- oder Bonuszahlungen herangezogen. Diese unterliegen beim Arbeitnehmer als Arbeitslohn (§ 19 EStG) der tariflichen Einkommensteuer in Höhe von bis zu 47,5 % (inkl. SolZ). Beim Arbeitgeber kann Personalaufwand geltend gemacht werden, der den steuerlichen Gewinn mindert und somit zu einer Steuerersparnis von ca. 30 % (Körperschaft- und Gewerbesteuer) der Zahlung führt.
Ein weiterer Vergleichsmaßstab ist die Besteuerung von Anteilseignern, die keine Arbeitnehmer sind. Bei diesen unterliegen Dividenden und Veräußerungsgewinne in der Regel einem Steuersatz von 26,4 % bzw. bis zu 28,5 % (Abgeltungsteuer bzw. tarifliche Einkommensteuer mit Teileinkünfteverfahren, jeweils inkl. SolZ)1. Arbeitslohn ist grundsätzlich auch sozialversicherungspflichtig, soweit die Beitragsbemessungsgrenzen noch nicht überschritten sind. Aus Vereinfachungsgründen wird im Folgenden auf Ausführungen zur Sozialversicherung verzichtet. Systematisch ist diese vergleichsweise niedrigere Besteuerung der Anteilseigner damit zu begründen, dass in diesen Fällen keine den steuerlichen Gewinn mindernden Aufwendungen beim Unternehmen in Betracht kommen, sprich eine Vorbelastung mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer gegeben ist.
MKB haben wirtschaftlich einerseits Entlohnungscharakter, andererseits aber auch Kapitalanlagecharakter. Auch das Steuerrecht folgt dieser Sichtweise, wobei jedoch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberebene getrennt betrachtet werden (fehlende Korrespondenz).
Die fehlende Korrespondenz kann dazu führen, dass die Gesamtsteuerbelastung höher ausfällt als bei den beiden oben beschriebenen grundsätzlichen Besteuerungsregimen für Gehälter bzw. Boni und Kapitalbeteiligungen. Verallgemeinert ist dies ist dann der Fall, wenn die Vorteile aus der MKB beim Arbeitnehmer als Arbeitslohn, beim Arbeitgeber aber wie Kapitalbeteiligungen, d.h. ohne Abzug von Personalaufwand, besteuert werden (wirtschaftliche Doppelbesteuerung) und keine speziellen Förderungen (z. B. der Freibetrag nach § 3 Nr. 39 EStG) greifen.
Der verbilligte Erwerb von Aktien oder GmbH-Anteilen durch Arbeitnehmer führt in Höhe des Preisnachlasses zu Arbeitslohn. Der Arbeitgeber darf jedoch nur dann Personalaufwand geltend machen, wenn eigene Anteile verwendet werden. Ist die Verwendung eigener Anteile nicht möglich, wie es häufig bei Start-ups der Fall ist, und erfolgt die Beschaffung der Anteile stattdessen im Rahmen einer Kapitalerhöhung, ist ein Ansatz von Personalaufwand nicht möglich.
Dividenden und Veräußerungsgewinne aus (verbilligt) erworbenen Anteilen sind grundsätzlich wie Kapitalbeteiligungen fremder Dritter zu behandeln. Gilt der Mitarbeiter jedoch steuerlich nicht als wirtschaftlicher Eigentümer oder ist der Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis insgesamt zu eng, erfolgt eine Umqualifizierung in Arbeitslohn. Die Gesamtsteuerbelastung ist bei einer Umqualifizierung hoch, da auf der Ebene des Arbeitgebers trotzdem kein Personalaufwand anzusetzen ist (fehlende Korrespondenz). Auch wenn der Bundesfinanzhof der Umqualifizierung in den letzten Jahren zunehmend einen Riegel vorschiebt, ist diese Problematik noch nicht gänzlich beseitigt.
MKB sind aber keineswegs in allen Fällen steuerlich schlecht gestellt. Bietet das Arbeitgeberunternehmen allen Mitarbeitern den verbilligten Erwerb einer MKB an, kann der Mitarbeiter einen Freibetrag von 2.000 EUR pro Jahr in Anspruch nehmen (Förderung von sog. All Employee Programmen). Verwendet der Arbeitgeber dabei eigene Anteile, kommt es sogar dazu, dass der Arbeitgeber Personalaufwand geltend macht, obwohl beim Arbeitnehmer nichts zu versteuern ist (Best Practice bei Belegschaftsaktienprogrammen).
Eine weitere günstige Rechtslage gilt für die im Mittelstand häufig angebotenen obligationsähnlichen Genussrechte. Zinsen, die beim Arbeitnehmer nur der Abgeltungsteuer unterliegen, darf der Arbeitgeber als Zinsaufwand geltend machen.
Die vorherrschende Gemengelage zeigt sich auch bei der Bestimmung des Besteuerungszeitpunktes. Für bestimmte Start-ups und Scale-ups kann die nachgelagerte Besteuerung nach § 19a EStG in Anspruch genommen werden. Durch die nachgelagerte Besteuerung wird ein geldwerter Vorteil aus dem verbilligten Erwerb im Idealfall erst bei der liquiditätswirksamen Veräußerung versteuert, ansonsten bei einem Arbeitgeberwechsel oder nach Ablauf von 15 Jahren. Ziel der Vorschrift ist die Vermeidung der sog. „Dry Income”-Problematik (Besteuerung ohne Liquiditätszufluss). Der Anwendungsbereich des § 19a EStG ist jedoch aufgrund der enthaltenen Alters- und Größenschwellen stark eingeschränkt und mit zahlreichen Fallstricken versehen, die sorgfältig zu beachten sind.
Darüber hinaus lässt sich eine Besteuerung beim Erwerb der Beteiligung vermeiden, wenn die Mitarbeiter die Beteiligung zu Marktpreisen und nicht verbilligt erwerben. Da die Mitarbeiter jedoch in der Regel das hierfür erforderliche Kapital nicht aufbringen können oder wollen, sind Darlehen oder eine bewertungstechnische Reduzierung des Marktwertes, z.B. durch Anpassung des Chance-Risiko-Profis (sog. Sweet Equity), erforderlich. Beide Wege beinhalten wiederum eigene steuerliche Herausforderungen und Risiken.
Eine Vermeidung der Besteuerung im Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs ist daher nur in Ausnahmefällen wirklich praktikabel. In aller Regel sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer damit mit “Dry Income”, d.h. einer Besteuerung ohne Liquiditätszufluss, konfrontiert.
Derzeit erfolgt die Steuererhebung bei MKB zweistufig: Zunächst behält der Arbeitgeber Lohnsteuer auf den geldwerten Vorteil ein. Anschließend wird der Kapitalertragsteuerabzug durch das depotführende Kreditinstitut oder den Arbeitgeber vorgenommen. Aus Sicht des Arbeitnehmers hat dieses Verfahren den Vorteil, dass allein durch die MKB grundsätzlich keine Steuererklärungspflicht entsteht. Für den Arbeitgeber hingegen fallen in der Regel nicht unerhebliche Compliance-Kosten an, da der zutreffende Lohnsteuerabzug aufgrund der Gemengelage und der damit verbundenen Rechtsunsicherheiten (z.B. Abgrenzung der Einkunftsarten und Bestimmung des Besteuerungszeitpunkts, Notwendigkeit von Bewertungsgutachten) Herausforderungen mit sich bringt.
Um die Attraktivität der MKB langfristig zu erhöhen, sollte die bestehende Gemengelage vereinfacht und vereinheitlicht werden. Konkret ließe sich dies wie folgt umsetzen:
Zunächst ist zu definieren, was eine MKB ist. Dabei kann auf § 2 des 5. VermBG aufgebaut werden, der bereits für § 3 Nr. 39 EStG und § 19a EStG die begünstigten Vermögensbeteiligungen aufzählt. Allerdings wäre eine Überarbeitung erforderlich, da die Regelung des § 2 des 5. VermBG selbst einen Flickenteppich darstellt (z.B. sind in- und ausländische Aktien erfasst, während bei GmbH-Anteilen ein Inlandsbezug erforderlich ist).
Nachdem geklärt ist, was unter MKB zu verstehen ist, ist die MKB beim Mitarbeiter aus dem Bereich der Arbeitslohnbesteuerung auszuklammern (z.B. durch einen Negativtatbestand in § 19 EStG), so dass eine Besteuerung eines geldwerten Vorteils im Zeitpunkt der verbilligten Überlassung vollständig entfällt. Die Besteuerung erfolgt erst bei Ausschüttung von Dividenden und der Veräußerung (bzw. bei fremdkapitalähnlichen MKB bei Auszahlung der Zinsen und der Einlösung), in der Regel mit dem Abgeltungsteuersatz von 26,4 % inkl. SolZ (sog. Endbesteuerung). Technisch würde dies dadurch erreicht, dass die Anschaffungskosten der Beteiligung künftig nicht mehr aus der Summe einer möglichen Zuzahlung des Mitarbeiters und des geldwerten Vorteils bestehen, sondern nur noch aus einer möglichen Zuzahlung.
Da dadurch das Dry Income Problem gelöst ist, kann der hochkomplexe § 19a EStG entfallen. Zur weiteren speziellen Förderung von „All Employee Plänen” ist der Freibetrag nach § 3 Nr. 39 EStG dahingehend anzupassen, dass er nicht mehr den verbilligten Erwerb begünstigt, sondern einen Teil eines späteren Veräußerungsgewinn bzw. Gewinn aus der Einlösung (z.B. Minderung um 2.000 € pro Jahr Haltedauer).
Der zweistufige Steuererhebungsprozess wäre nur noch einstufig, was insbesondere für den Arbeitgeber eine enorme Komplexitätsreduktion bedeutet und die Verständlichkeit des Programms für die Mitarbeiter und damit die Akzeptanz erhöht. Um aus systematischer Sicht eine Überprivilegierung zu vermeiden, ist es erforderlich, einen generellen Ausschluss der Abzugsfähigkeit von (etwaigen) Personalaufwendungen im Zusammenhang mit der MKB beim Arbeitgeber einzuführen (z.B. Deetition als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben). Diese Regelung hätte teilweise nur deklaratorische Wirkung, da, wie oben beschrieben, ohnehin nicht in allen Fällen (z.B. bei Kapitalerhöhungen) Personalaufwand angesetzt werden kann.
Im Ergebnis würden MKB künftig wie Kapitalbeteiligungen fremder Dritter besteuert. Alle sonstigen Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, die nicht der MKB-Definition entsprechen, insbesondere sog. virtuelle Beteiligungen, wären wie nach derzeitiger Rechtslage als Arbeitslohn beim Arbeitnehmer unter Abzug von Personalaufwand beim Arbeitgeber zu behandeln.
Der Gesetzgeber hat die steuerliche Attraktivität der MKB in den letzten Jahren durch die Einführung bzw. Anpassung von Spezialregelungen (§ 3 Nr. 39 EStG und § 19a EStG) erhöht. Eine grundlegende Reform ist jedoch nicht erfolgt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sehen sich daher nach wie vor mit einer Gemengelage konfrontiert, die insbesondere aus der Zwitterstellung der MKB zwischen Arbeitslohn und Kapitalbeteiligung resultiert.
Nach dem hier vorgelegten Reformvorschlag sollte diese Zwitterstellung zugunsten einer einheitlichen Behandlung der MKB als Kapitalbeteiligung aufgelöst werden, um die Besteuerung zu vereinfachen und wirtschaftliche Doppelbelastungen zu vermeiden. Aus Arbeitnehmersicht würde der Reformvorschlag die Attraktivität der MKB deutlich erhöhen. Die steuersystematisch notwendige Anpassung beim Arbeitgeber sollte jedoch mit Augenmaß erfolgen, da sie durch den Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs die Steuerlast und damit die Kosten des Arbeitgebers für das Beteiligungsprogramm erhöhen kann. Denkbar wäre z.B. eine Übergangsfrist.