2024

Ein Vordenker der Mitarbeiterbeteiligung

Vor 135 Jahren gründete Ernst Abbe die Carl-Zeiss-Stiftung. Seine Ideen prägen bis heute die Soziale Marktwirtschaft.

Als sich der Mechaniker Carl Zeiss, der Physiker Ernst Abbe und der junge Glas Chemiker Otto Schott in Jena zusammen taten, um die besten Mikroskope der Welt zu bauen, konnten sie nicht ahnen, dass sie der erste Bundespräsident der Bundesrepublik dereinst voller Hoffnung als Vorreiter der Sozialen Marktwirtschaft feiern würde: als Unternehmer und Vordenker, deren Ideen von Führung, Mitarbeiterbeteiligung und sozialer Verantwortung nach dem Zusammenbruch von Nazi-Deutschland als Blaupause für eine neue Wirtschaftsordnung taugten. 

Dass die Geschichte der Männer aus Jena später sogar zum Vorbild von Unternehmensverfassungen werden sollte, lag vor allem an Ernst Abbe. Vom Sohn eines Fabrikarbeiters zum Unternehmer aufgestiegen, entwickelte Abbe seine eigene Unternehmensphilosophie. Vieles von seinem Gedankengut ist heute Konsens, zu seiner Zeit aber ist es revolutionär. Angefangen vom Verbot der Kinderarbeit, über einen eigenen Pensionsfonds bis hin zur Betriebskrankenkasse machte Abbe vieles anders. Im Jahr 1900 führt er erstmals in Deutschland den Achtstundentag ein, schon vier Jahre zuvor hatte er eine Mitarbeiterbeteiligung bei den Optischen Werkstätten Carl Zeiss in Jena ins Leben gerufen, bei denen er Teilhaber war.

Mit ihr wollte er bei Akzeptanz der Garantie der Mindestlöhne das gesamte Arbeitseinkommen an einer prosperierenden Entwicklung der Geschäftslage des einzelnen Unternehmens teilhaben lassen. Die Arbeitnehmer davon ausschließen zu wollen, sah er als „grobe Unbilligkeit” an. Gleichzeitig diente die Mitarbeiterbeteiligung nach Abbes Vorstellung dazu, ein Teil des gesamten Arbeitseinkommens der Mitarbeiter trotz der Fixierung der Löhne und Gehälter durch „Lohnregulierung” wieder elastisch zu machen. 

In seiner Rede „Über die Gewinnbeteiligung der Arbeiter in der Großindustrie” vom 28. Januar 1897 offenbarte er seine Ziele der Beteiligung der Mitarbeiter bei den Zeiss-Werken und setzte sich eingehend mit den unterschiedlichen Motiven auseinander, die in der damaligen, breit geführten Diskussion um die Mitarbeiterbeteiligung eine Rolle spielten. 

Die Einführung einer erfolgsorientierten Entgeltkomponente stützte Abbe auf mehrere Argumente. Im Hinblick auf die Garantie der Mindestlöhne, die sich zu seiner Zeit durchzusetzen begann, gab bei ihm die folgende Überlegung den Ausschlag: „Das tatsächliche Arbeitseinkommen des Personals muss in zwei Teile zerlegt werden; der eine von diesen, der Lohn (oder Gehalt), der unwiderruflich sein soll, darf keiner Rücksicht auf aufsteigende Konjunktur oder gehobenen Geschäftsgang unterworfen sein, muss vielmehr bemessen werden können nach den normalen, durch den Lohn gegebenen Wirtschaftsbedingungen des Betriebes; der andere Teil muss sich, von der durch den Lohn gegebenen Grundlinie aus, aufsteigendem Geschäftsgang anpassen und diejenige Erhöhung des Arbeitsertrages bringen, die dem Personal als Anteil an den Vorteilen günstiger Konjunktur zukommen muss.”

Um das Vermächtnis seiner Unternehmensphilosophie zu bewahren, gründete er 1889 zu Ehren seines verstorbenen Mitgründers die Carl-Zeiss-Stiftung. Sie übernimmt später alle Unternehmensteile von Zeiss. Im Stiftungsstatut regelte Abbe in 122 Paragraphen haarklein Aufgabe, Zweck und Organisation der Stiftung: Sie sollte für das Überleben und die Unabhängigkeit der Unternehmen sorgen, besonderen Wert auf den Umgang mit den Mitarbeiter legen und mit den Gewinnen Wissenschaft und Forschung fördern.

               

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